(Dipl. Mathematiker (OTH Regensburg) • Dipl. Physiker (LMU München) • Promotion in theoretischer Astrophysik (LMU München) Dissertation der Fakultät für Physik der Ludwig-Maximilians-Universität München in Astronomie / Kosmologie: From Primordial Nucleosynthesis to the Higgs Field • freier Research-Fellow der Universitätssternwarte München • Grundlagenforscher, Kosmologe, Astronom, Sachbuch-Autor • Lehrbeauftragter der Hochschule Landshut für Astronomie und Kosmologie •
Guten Tag Herr Gassner!
1.) Sie beschäftigen sich schon lange mit der Astronomie. Haben Mathematik und Physik studiert. Jetzt sind sie ein Populärwissenschaftler mit der Serie " Urknall, Weltall und das Leben". Wie
begann Ihre Kariere in der Astronomie? Und wie kamen Sie dazu, diese Wissenschaft an die Allgemeinheit einfacher zugänglich zu machen?
Aus meinere Sicht wird jeder Mensch als Naturwissenchaftler/in geboren. Wir kommen in eine Welt und von Kindesbeinen an versuchen wir sie zu erkunden und zu verstehen. Bei manchen lässt diese
Neugierde allmählich nach, andere befällt sie ein Leben lang. Letztere nennt man Grundlagenforscher. Insofern könnte ich keinen bestimmten Tag als "Beginn" meines wissenschaftlichen Strebens
festmachen. Als theoretischer Physiker hatte ich in den
mathematiklastigeren Bereichen begonnen, insbesondere in der Quantenmechanik und der Allgemeinen Relativitätstheorie. Speziell zur Astronomie kam ich über Sternmodelle. Die Vorstellung, riesige
Plasmagebilde, die auf Zeitskalen von Jahrmilliarden leben, zumindest ansatzweise verstehen zu können, hat mich in ihren Bann gezogen und bis heute nicht mehr losgelassen. Und wer sich mit den
Rätseln dieser Welt beschäftigt, der kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus und damit ist unmittelbar der Wunsch verbunden, andere daran teilhaben zu lassen. So ist unser Projekt "Urknall,
Weltall und das Leben" entstanden, anfangs mit einem Hörbuch, gefolgt von einem Buch, einer DVD-Reihe, einer Webseite bis hin zu einem eigenen YouTube-Kanal.
2.) Aktuell wurden Gravitationswellen nachgewiesen.Wie kann man sich so eine Gravitationswelle vorstellen und was passiert mit der Raumzeit?
Jede Masse bewirkt eine Gravitationskraft mit unendlicher Reichweite. Diese Wirkung breitet sich allerdings nur verzögert, maximal mit Lichtgeschwindigkeit aus, d.h. mit einer endlichen
Geschwindigkeit. Entfernen wir die Masse beispielsweise, so bekommt das ein weit entfernter Punkt erst verspätet mit. Bewegen wir nun die Masse auf einer beschleunigten Bahn, lassen wir sie
beispielsweise um ein anderes Objekt kreisen, so wird diese Veränderung in großer Entfernung ebenfalls erst mit zeitlicher Verzögerung wahrgenommen. Die gravitative Wirkung der kreisenden Masse
wird an verschiedenen Orten unterschiedlicher Entfernung unterschiedlich stark ausgeprägt sein, je nach dem, wo die Information über die veränderte Massenkonfiguration gerade mit
Lichtgeschwindigkeit angekommen ist. Diese Ausbreitung nennt man Gravitationswelle. Interpretiert man die gravitative Wirkung unserer Ausgangsmasse als Krümmung der Raumzeit, breitet sich diese
laufend veränderte Krümmung im Raum aus. Objekte werden abwechselnd gestaucht und gedehnt. In geeigneten Detektoren weist man das nach.
3.) Wie gross ist so eine Gravitationswelle?
Die Größe von ausgehenden Gravitationswellen hängt davon ab, wie stark sie die Massenkonfiguration ändern. Die Raumzeit ist sehr starr, d.h. es bedarf extremer Änderungen um erklägliche Wellen zu
erzeugen und mit der Entfernung fällt deren Amplitude auch noch linear ab. Im Beispiel des geglückten Nachweises am LIGO mussten schon zwei Schwarze Löcher miteinander verschmelzen und selbst
diese kosmische Katastrophe hat den Abstand der Erde von unserer Sonne nur um den Durchmesser eines Atoms schwanken lassen.
4.) Sie sind Mathematiker und Physiker. Können Sie die Berechnungen der allgemeinen und speziellen Relativitätstheorie Einsteins nachvollziehen und selbst nachrechnen?
Ja, die Relativitätstheorien sind physikalisch gesehen einfache Theorien. Weil die ART mit krummlinigen Koordinaten arbeitet ist die mathematische Behandlung vergleichsweise aufwändig, aber jede
Studentin und jeder Student kann das erlernen.
5.) Wie erkären Sie einem Laien die Raumzeit, die Zeitdilatation und Lorenzkontraktion?
Ha, das wäre eine Vorlesung über spezielle Relativitätstheorie in drei Sätzen. Zum Glück gibt es zu allen genannten Themen erklärende Videobeiträge bis hin zu vertiefenden Tutorials auf unserer
Webseite www.Urknall-Weltall-Leben.de. Die Beiträge sind auch nach Schwierigkeitsgrad
gestaffelt - da wird jede und jeder Interessierte fündig. Anschließend können Sie in unserem Forum mit Gleichgesinnten diskutieren.
7.) Sie sind in Zusammenarbeit mit Prof. Harald Lesch. Werden Sie eine gemeinsame Fernsehreihe planen?
Ehrlich gesagt bin ich kein großer Freund von Wissenschaftssendungen im Fernsehen. Vermutlich bin ich zu altmodisch für schnelle Bildschnitte und effekthaschende Hintergrundbilder. Ich bin
überzeugt davon, dass ein guter populärwissenschaftlicher Beitrag von einer fundierten und verständlichen Erklärung lebt und nicht von der Anzahl an Explosionen, die im Hintergrund stattfinden.
Auch das feste Zeitkorsett einer Fernsehsendung würde mich stören, weil manche Themen einfach mehr Zeit benötigen als andere. Summa summarum ist das flexible YouTubeFormat für mich wesentlich
besser geeignet. In der Ausgestaltung bin ich mein eigener Herr und muss nicht auf vielseitige Interessen eines Senders Rücksicht nehmen.
8.) Die kleinen "Auseinandersetzungen", mit Harald Lesch als Praktiker/Physiker und Sie als Theoretiker/Mathematiker auf Ihrem Kanal "Urknall, Weltall und das Leben", sind sehr amüsant. Passt in
der Naturwissenschaft Astronomie die Mathematik mit der Physik nicht zusammen?
Doch, Mathematik ist die Sprache, in der wir Wissenschaft betreiben. Wir haben uns allerdings in der modernen Physik in eine gefährliche Situation manövriert. Die Mathematik bietet mehr
hypothetische Möglichkeiten an, als in unserer realen Welt tatsächlich existieren. Üblicherweise lichten wir den Wildwuchs an Theorien durch Experimente aus - mittlerweile operieren wir
allerdings in Größenordnungen, die uns geeignete Experimente nicht mehr ermöglichen. Den Mathematikern ist es freigestellt, sich jedes mögliche Szenarium vorzustellen, dagegen sind wir Physiker
an scharfe Rahmenbedingungen gebunden. Wir befassen uns mit der Welt, so wie sie ist. Wir bestaunen das Orchester, das wir vorfinden, und stellen uns nicht die Frage, wie würde das Konzert
klingen, wenn ein paar Instrumente mehr oder weniger beteiligt wären. Ich formuliere es mal in einer Mischung aus Richard Feynman und Henry Huxley: Wissenschaft ist Imagination in der Zwangsjacke
und ihre größte Tragödie ist das Erschlagen einer schönen Hypothese durch eine hässliche Tatsache. Das letzte Wort hat immer die Natur, nur gelingt es uns leider immer seltener, geeignete
experimentelle Fragen zu stellen.
9.) Was schätzen Sie: Wieviel Prozent der bewiesenen Studien in der Astronomie sind mathematischer Berechnungen, wieviel praktisch, physikalisch nachvollziehbar?
Das ist eine einfache Frage. Die Anzahl der bewiesenen Studien in der Astronomie ist null. Wir können nichts beweisen, das liegt in der Art und Weise unseres Erkenntnisgewinns. Innerhalb der Mathematik kann man Beweise führen, Naturwissenschaft ist jedoch stets Versuch und Irrtum. Deshalb ist das wissenschaftliche Weltbild zu jeder Zeit falsch - aber wie Harry so schön sagt: "Zum Glück mittlerweile verdammt gut falsch". Es gilt stets das Credo der Naturwissenschaft: Wir irren uns empor!
Vielen Dank Herr Gassner für das Interview.
Gruss Markus Paul